Klee im Krieg
Die Ausstellung zeigt erstmals umfassend die Folgen des Ersten Weltkrieges auf Paul Klees Schaffen anhand ausgewählter Bilder aller Werkphasen. Künstlerisch wie biografisch ist es eine Zeit tiefgreifender Umbrüche. Der Krieg raubte Klee viele seiner Künstlerfreunde. Auf sich selbst zurückgeworfen, treibt er sein Schaffen voran. Die politische Lage kommentiert er in seinen Werken und wendet sich gleichzeitig verstärkt der Abstraktion zu.
Unsere Sammlungspräsentation greift zentrale Aspekte von Klees Schaffen auf, die in der Zeit des Ersten Weltkrieges ihren Ursprung haben. Aber auch Klees Leben als Soldat im Ersten Weltkrieg ist anhand von bisher kaum gezeigten Briefen und Dokumenten Inhalt der Ausstellung. Zugleich wird Klees rasanter Aufstieg und sein Weg zu einer der zentralen Figuren der künstlerischen Moderne beleuchtet. Denn trotz ihrer Schrecken war die Zeit des Ersten Weltkrieges eine sehr produktive und äusserst erfolgreiche für Klee. Er erlebte – mitten im Krieg – seinen künstlerischen Durchbruch und wurde zwischen 1916 und 1918 zu einer Kultfigur der jungen Kunst.
In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg herrscht grosse Aufbruchstimmung. Auch für Paul Klee, der sich als Mitglied der Künstlergruppe Der Blaue Reiter in der Münchner Avantgarde etabliert und in Paris den Kubismus entdeckt. Auf der Tunesienreise im Frühjahr 1914 erhält er entscheidende Impulse hin zur Abstraktion. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 ist für Klee im ersten Moment ein herber Rückschlag. Sein künstlerisches Umfeld bricht jäh auseinander: Viele Freunde ziehen in den Krieg oder ins Exil. Klee bleibt allein in München zurück.
Im März 1916 wird Klee 36-jährig als Soldat des deutschen Reiches eingezogen. Er bleibt vom Horror der Front verschont und verbringt seinen Kriegsdienst vorwiegend auf Militärflugplätzen, oft am Schreibtisch. So kann er auch während des Krieges sein künstlerisches Schaffen vorantreiben. Sein Soldaten- Dasein kommentiert der Künstler im Tagebuch und in Briefen mit erschreckend ironischer Distanz. Trotz des furchtbaren Kriegstreibens erweisen sich die Jahre von 1914 bis 1918 als eine sehr fruchtbare Zeit für Klee. Er entdeckt neue Materialien, wie beispielsweise das Leinen der Flugzeugtragflächen, und neue Werkzeuge, wie die Schablonen, mit denen er Flugzeuge bemalen muss. Er entwickelt sein Schaffen formal weiter, erschliesst sich neue und vertieft bereits erprobte Themen und bildnerische Mittel. Die Ausstellung greift zentrale Aspekte seines Werkes auf, die in dieser Zeit ihren Ursprung haben, und verfolgt ihre Entwicklung in späteren Schaffensperioden.
In jenen Jahren erlebt Klee – mitten im Krieg – seinen künstlerischen Durchbruch und wird zwischen 1916 und 1918 zu einer Kultfigur der jungen Kunst. Seine künstlerischen Erfolge werden noch während der letzten Kriegsjahre und in den Jahren danach durch zahlreiche Ausstellungen, steigende Verkaufszahlen und Publikationen gekrönt. Nach Kriegsende engagiert er sich politisch in der kommunistischen Münchner Räterepublik, die jedoch nur kurze Zeit währt. Zwar stellt sich Klee selbst wiederholt als verträumt abgehobenen, weltabgewandten Künstler dar – wie er heute oft noch wahrgenommen wird. Die Ausstellung zeigt Klee von einer anderen Seite: Als Zeitzeugen, der politische, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen aufgreift und in seinen Werken verarbeitet.
Kommentare zur Politik
Auch wenn sich Klee selbst nicht als politischen Künstler
bezeichnen würde, entstehen von Anfang an regelmässig Werke
mit Anspielungen auf Politik und Gesellschaft. In den Titeln seiner
bildnerischen Kommentare zum Zeitgeschehen benennt Klee
nur sehr selten konkrete Personen oder Geschehnisse. Er greift
vielmehr Typen wie den Proletarier, den General, den Stammtischler
oder den Feldherrn auf, um bestimmte reale Politiker zu karikieren
oder die politische Stimmung zu kommentieren. Vor allem die
Situation kurz vor und während des Ersten Weltkrieges und der Zeit
der Machtübernahme durch Hitler in den frühen 1930er-Jahren,
die Klees Flucht nach Bern zur Folge hatte, liessen den Künstler
keineswegs kalt. Dies belegen zahlreiche Werke, die in dieser
Ausstellung zu sehen sind.
Entdeckung des Kubismus in Paris
Klee unternimmt im April 1912 eine Reise nach Paris, wo er
unter anderem Robert Delaunay im Atelier besucht. Bei Delaunay
begegnet Klee zum ersten Mal den Versuchen, Farben und Flächen
ohne Bindung an Gegenständliches zu kombinieren. Zudem entdeckt
er in Galerien kubistische Bilder von Pablo Picasso und Georges
Braque. Dem Vorbild des Kubismus folgend gelingt es Klee, die
Welt gleichzeitig von verschiedenen Gesichtspunkten darzustellen.
Diese Begegnungen führen dazu, dass Klee von nun an auf eine
perspektivische Darstellung in seinen Werken verzichtet und
die Zweidimensionalität der Bildfläche betont, indem er sie mit
Farbfeldern rhythmisch lebendig gliedert.
Weg zur Abstraktion in Tunesien
Glaubt man seinen eigenen Tagebuchnotizen, erreicht Klee erst
während der Tunesienreise seine angestrebte Beherrschung des
«Farbklaviers»: «Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr
zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiss das. Das ist der
glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.»
Ein Blick auf einige Aquarelle aus der Zeit vor der Reise belegt
jedoch bereits eine überzeugende Farbgebung. In den Arbeiten
aus dieser Zeit erkennt man eine Entwicklung hin zu einer völligen
Abstraktion: Gebäude und Landschaften lösen sich in Farbfeldern
auf. Die in Paris erhaltenen Impulse hin zur Abstraktion, sei es im
Umgang mit Farbe oder mit Farbfeldern, erfahren in Tunesien eine
Bestätigung und eine weitere Vertiefung.
Flucht vor der Realität
Mit abstrakten Symbolen wie Kreis, Sichel, Stern oder Dreieck
versucht Klee die schreckensvolle Welt während des Ersten
Weltkrieges darzustellen, ohne die Realität direkt abzubilden.
Werke wie Zerstörung und Hoffnung oder Zeichnung zum Unstern
der Schiffe spielen direkt auf die bedrohliche Situation an.
Andererseits scheint sich Klee in Werken wie Einsiedelei von der
Gegenwart abzuwenden, um in einer Märchenwelt Zuflucht zu
finden. Er erfindet seine eigenen Landschaften, in denen die Natur,
Tiere, Pflanzen und Gestirne die Hauptrolle spielen. Auch das
häufig eingesetzte Motiv des Auges bestärkt den Eindruck des
Geheimnis-vollen dieser Arbeiten. Die märchenhaften Aquarelle
sind jedoch nicht einfach als Abkehr von der Realität zu begreifen,
sondern als Produkte von Klees widersprüchlicher Wahrnehmung
des Kriegszustandes. Bereits 1915 erwähnt Klee in seinem Tagebuch: «Je schreckensvoller diese Welt (wie gerade heute) desto
abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige
Kunst hervorbringt.»
Krieg, Verfolgung und Tod
Klee thematisiert den Kriegszustand wiederholt in seinen
Arbeiten. Derartige Werke aus den Jahren 1914/15 kann er jedoch
kaum verkaufen. Dies ist wohl mit ein Grund, weshalb Klee
eine abstraktere Bildsprache als geeigneter erachtet, um das
Zeitgeschehen auszudrücken. Neben den kubistisch-kristallinen,
farbigen Arbeiten gelingt es Klee mit einfachen Strichzeichnungen
die Atmosphäre und Stimmung kurz vor und während des Ersten
aber auch des Zweiten Weltkrieges einzufangen. Der Künstler legt
damit ein feines Gespür an den Tag, die bedrohliche Situation der
Menschen aufzunehmen und darzustellen.
Explosives Zick-Zack
Im Jahr 1917 entsteht eine Serie von Arbeiten mit «steilwinkligen
Zickzackbewegungen», wie sie Klee später charakterisiert. Die
explosionsartigen Blitze sind Ausdruck von Zwang, Angst, Bedrohung
und Zerstörung, denen die Menschen zu jener Zeit ausgesetzt
sind. Sie sind aber auch abstrakte gestalterische Mittel, mit deren
Hilfe Klee Energie und Dynamik verbildlichen kann. Diese Arbeiten
veranschaulichen eindrücklich, wie es Klee gelingt, das Erlebte
mit rein abstrakten, bildnerischen Elementen wie Linie und Farbe
auszudrücken.
Herabstürzende Pfeile
Während seines Militäreinsatzes auf Fliegerstationen muss Klee
auch Flugzeugabstürze der Fliegerschüler rapportieren und
fotografieren. Für die Technik der Fliegerei scheint sich Klee
kaum interessiert zu haben. Vielmehr fasziniert ihn das Fliegen
oder Schweben an sich und als Gegensatz zu unserem der Erde
verhafteten Dasein. In der Folge entsteht aus den Erfahrungen
an der Fliegerschule eine Serie von halbabstrakten Werken mit
abstürzenden Flugzeugen und Vögeln oder einer Mischung von
beidem in seinen Fliegervögeln. Oft tauchen Pfeile auf, teils als
Erinnerung an die Fliegerpfeile, die aus den Flugzeugen abgeworfen
worden sind, wie in Das Haus zum Fliegerpfeil. Sie werden für Klee
bald zum Symbol für Bewegung, Kraft und Energie schlechthin. Der
Pfeil bleibt bis in Klees spätem Schaffen von zentraler Bedeutung.
Zahlen und Buchstaben
Auf der Flieger-Ersatzabteilung in Schleissheim ist Klee unter
anderem für die Bemalung der Flugzeugbespannung zuständig.
In dieser Zeit malt er erste Werke auf Resten von Flugzeugleinen
und mit Buchstaben-Schablonen, was in den folgenden Jahren
zu weiteren Experimenten mit Textilien und Buchstaben führt. Ab
Januar 1917 ist Klee als Schreiber in der Kassenverwaltung der
Fliegerschule in Gersthofen tätig. Diese buchhalterische Tätigkeit
hinterlässt ebenfalls Spuren in seinem Werk. So integriert er
beispielsweise Zahlenkolonnen in seine Kompositionen. Einige
Arbeiten entstehen auf liniertem Papier, auf dem er Additionen
ausgeführt hat, oder auf fleckigem Löschpapier.
Szenografie fluchtpunkt.xyz