Genesis. Die Kunst der Schöpfung
Prolog zu Jenseits von Eden. Eine Gartenschau. Das Zentrum Paul Klee widmet seine Frühjahrsausstellung einem Thema, das sowohl in der Kunst wie auch in der Genetik eine zentrale Rolle spielt: die Schöpfung. Das Projekt wurde gemeinsam mit dem Centraal Museum in Utrecht, Niederlande, konzipiert und für das Zentrum Paul Klee erweitert.
Der Bezug zu Paul Klees Werk ist offensichtlich: Der Begriff «Genesis» und das Schöpfungsthema sind in seinem Denken und Schaffen zentral. Der Künstler sah sich selber als Schöpfer und die Entstehung der Werke als Genese. Seine Arbeitsweise ist vergleichbar mit dem eines Wissenschaftlers; nach der minutiösen Untersuchung von natürlichen oder geometrischen Strukturen übertrug er diese nach bestimmten Regeln in sein Medium (Zeichnung oder Malerei). Paul Klee äussert sich auch in seinen Schriften zum Verhältnis zwischen bildender Kunst und Wissenschaft.
Ausgehend von den Exponaten der Ausstellung des Centraal Museum wird in Bern eine neue Perspektive geschaffen: die methodischen Gemeinsamkeiten zwischen den Avantgarden der Kunst und der Genforschung. Beide Felder weisen ähnliche Entwicklungslinien auf: Am Anfang steht der Ausbruch aus den überholten Mustern der Orthodoxie; der Homo novus betrachtet die Welt frisch und analysiert sie neu. Aus dieser Recherche ergeben sich neue Theorien, die dazu tendieren in Dogmen zu erstarren. Da das Leben aber sowohl für die Codes der Wissenschaft als auch für die Ismen der Kunst zu komplex ist, kommen diese neuen Dogmen ins Wanken. Künstler wie Forscher suchen nach Möglichkeiten, ihr System wieder zu öffnen, sich dem Chaos neu zu stellen und sich der Komplexität der Condition humaine mit neuen Ansätzen anzunähern.
Die Ausstellung
Dem Besucher wird auf innovative Weise die Entwicklung der modernen Lebenswissenschaften vermittelt; gleichzeitig wird die künstlerische Auseinandersetzung mit der modernen Genetik präsentiert: Ausgestellt werden Kunstwerke und wissenschaftliche Objekte, die Resultate ähnlicher Arbeitsprozesse sind. Parallelität und Interaktion in den künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeitsmethoden werden hervorgehoben; der Schöpfungsprozess, der zu einem Resultat führt und beiden Genres eigen ist, steht im Mittelpunkt. «Genesis», «Analyse», «Code», «Spielerei» und «Chaos» bilden die fünf thematischen Schwerpunkte für die Dramaturgie der Ausstellung und verbinden sowohl die wissenschaftliche als auch die künstlerische Seite der Genetik und der Schöpfung zu einer inszenierten Einheit. Die Exponate – Gemälde, interaktive Installationen, Lichtinstallationen, Videoprojektionen, Trickfilme, Fotografien und Skulpturen international bekannter Künstler wie Mona Hatoum, Ross Bleckner, Mark Francis, Chuck Close, Piet Mondrian, Paul Klee, Marcel Duchamp, Dieter Roth oder Mark Dion – vermitteln in und mit ihrer Vielfalt die wichtigsten Forschungsergebnisse des 20. und 21. Jahrhunderts und setzen sie in einen künstlerischen Kontext, der Zeugnis ablegt über die gesellschaftliche Relevanz, die emotionale Bandbreite und die über Jahrzehnte gleich bleibende politische Aktualität der Thematik.
Die fünf Themenfelder 1. Genesis: Die Schöpfung vor dem Zeitalter der Biowissenschaften
Mit biblischen und medizin-historischen Illustrationen wird auf die unterschiedlichen Darstellungen der Schöpfung des Menschen seit der Antike hingewiesen. Der Begriff «Genesis» steht aber nicht nur im Zusammenhang mit der Schöpfung des Menschen, sondern bezeichnet in der Kunst auch die von Formen. Mit Konzepten von Paul Klee, Joseph Beuys und Rudolf Steiner wird dieser Aspekt exemplarisch erläutert. Mona Hatoums Installation Corps étranger führt in das nächste Kapitel über: Mit einer endoskopischen Kamera untersucht sie die Oberfläche ihres Körpers und dringt anschliessend in das innere Labyrinth des Körpers.
2. Analyse: Definition der kleinsten lebenden Einheit – die Zelle
Die Neugier war und ist treibende Kraft für den Akt des Analysierens. Der Forscher suchte nach Erklärungen wie der Mensch geschaffen ist. Dafür musste er das Innere des Menschen analysieren. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die kleinste lebende Einheit im Menschen und in den Pflanzen – die Zelle – definiert. Assoziative Gegenüberstellungen von wissenschaftlichen Zellstruktur-Darstellungen und Werken von Ross Bleckner, Mark Francis oder Jasper Johns verweisen auf ästhetische Parallelen in Kunst und Wissenschaft. Gleichzeitig verweisen Notizen und Zeichnungen von Paul Klee wie auch Marcel Duchamps Analyse eines Meters in Trois Stoppages étalon auf die methodische Gemeinsamkeit des Analysierens einer Einheit.
3. Code: Die Entdeckung und Entschlüsselung des genetischen Codes
1953 erklärten Francis Crick und James Watson die DNA als Doppelhelix-Struktur. Unterschiedliche Darstellungen der DNA in Wissenschaft und deren Integration in Kunstwerken von Dennis Ashbaugh oder Jaq Chartier weisen auf ikonografische Gemeinsamkeiten. 1957 formulierte Francis Crick das «zentrale Dogma» der Genetik: «DNA macht RNA macht Protein» – mit anderen Worten: Die Gene schaffen Lebewesen und bestimmen deren Eigenschaften. Dies warf neue Fragen zur Identität des Individuums auf wie «Wenn der Code entschlüsselt ist, bin ich dann «kopierbar»?» Mit Porträts von Chuck Close, den DNA-Porträts von Marc Quinn, Gary Schneider, Thomas Kovachevich oder Larry Miller wird diese Frage thematisiert. Die Entdeckung des genetischen Codes wäre ohne die vorhergehende Entwicklung der Codierung von Informationen im Computer undenkbar. Kunstwerke aus unterschiedlichsten Epochen und in verschiedensten Medien zeigen wie zentral die Codierung auch in der Kunst ist: Werke von Piet Mondrian, Dieter Roths Stempelalphabet Mundunculum, oder auch Eduardo Kacs Installation Genesis.
4. Spielerei: Die Entwicklung neuer Formen aufgrund des analysierten Codes
Die Entwicklung der Klonierungstechniken ermöglichte die Genmanipulation. Science Fiction Dokumentarfilme von Floris Kaayk thematisieren auf ironische Weise die neuen Möglichkeiten der Gentechnologie, die gleichzeitig Hoffnungen aber auch Angst schürt. Das tradierte Motiv der Chimären erlebt eine Renaissance. Widerspiegelten Chimärendarstellungen bisher unberechenbare Kräfte der Natur im Laufe der Evolution und waren somit Zeugen des Sieges der Natur über den Menschen, so thematisieren sie heute paradoxerweise das Gegenteil, nämlich den Sieg des Menschen über die Natur. Zudem stehen sie für Zukunftsvisionen vom neuen Menschen. Chimärendarstellungen aus verschiedensten Epochen weisen auf die permanente Aktualität des Themas in Kunst und in Wissenschaft.
5. Chaos: Das Dogma wird aufgeweicht
Die Realität erweist sich komplexer als das zentrale Dogma der Life Sciences. Um das Leben zu ergründen und Lebensprozesse zu verstehen, versuchen die Wissenschaftler deshalb erneut Netzwerke zu betrachten. Kathleen Rogers inszeniert in ihrer Installation Tremor Experimente, die an Zebrafischen vorgenommen worden sind. Interessant ist, dass erneut in den Zellen manipuliert wird. Das naturgetreu imitierte Labor eines Biotechnologen, welches Mark Dion für die Ausstellung geklont hat, weist nicht nur auf den locus operandi der Forscher, sondern verweist sinnbildlich auf das «Chaos», das sich trotz der Entschlüsselung des Gens manifestiert.