Klee & Kandinsky
Die Ausstellung des Sommers 2015. Diese Ausstellung verrät viel über den schmalen Grat zwischen Freundschaft und Rivalität, zwischen gegenseitiger künstlerischer Anregung und Abgrenzung, aber auch zwischen Erfolg und Verfemung. Noch nie zuvor wurde eine derart hochkarätige Auswahl von Werken der beiden Meister und Bauhaus-Nachbarn in einer Ausstellung vereint.
Paul Klee und Wassily Kandinsky gelten als die Gründungsväter der «Klassischen Moderne» und ihre Künstlerfreundschaft als eine der spannendsten des 20. Jahrhunderts. Ihre Beziehung war geprägt von Austausch, Inspiration und Unterstützung, aber auch von Rivalität und Konkurrenz – eine Mischung, die beide in ihrem künstlerischen Schaffen beflügelte. Die Ausstellung Klee & Kandinsky zeichnet zum ersten Mal überhaupt die wechselvolle Geschichte dieser künstlerischen Beziehung über den weiten Zeitraum von 1900 bis 1940 nach. Sie macht Parallelen und Gemeinsamkeiten sichtbar, aber auch Unterschiede und Abgrenzungen. Die künstlerische Auseinandersetzung und persönliche Begegnung in der Zeit des «Blauen Reiters» und des Bauhauses bilden den Schwerpunkt der Präsentation. Die Ausstellung ist in Kooperation mit der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München entstanden, wo sie vom 21. Oktober 2015 bis 24. Januar 2016 zu sehen sein wird.
Um 1900
«An Kandinsky und Weisgerber kann ich mich dunkel erinnern, die zur selben Zeit dieser Malschule angehörten. [...] Kandinsky war still und mischte mit grösstem Fleiss und wie mir damals schien mit einer Art Gelehrsamkeit die Farben auf seiner Palette, wobei er sehr nah hinsah.» Paul Klee, Autobiographischer Text für Wilhelm Hausenstein, 1919
«Ich fühle in Ihren Arbeiten die urhaft längst vergangenen Dinge
vermählt mit geheimnisvollen Vibrationen künftiger seelischer
Möglichkeiten.»
Alfred Kubin an Wassily Kandinsky, 5.5.1910
«Der Schönheit diene ich durch Zeichnung ihrer Feinde.
(Karikatur, Satire)»
Paul Klee, Tagebuch I, 1901 (Nr. 142)
Wassily Kandinsky zieht 1896 nach München und studiert von 1897 bis 1899 an der privaten Malschule von Anton Ažbe, ab 1900 an der Kunstakademie München bei Franz von Stuck. Paul Klee kommt 1898 nach München und besucht zunächst die Zeichenschule von Heinrich Knirr. Auch er studiert ab 1900 in der Malklasse von Stuck, ohne aber Kandinsky näher kennen zu lernen.
Blauer Reiter
«Dieser Kandinsky will eine neue Gemeinschaft von Künstlern
zusammenrufen. Ich habe bei persönlicher Bekanntschaft ein
gewisses tieferes Vertrauen zu ihm gefasst. Er ist wer und hat
einen ausnehmend schönen klaren Kopf»
Paul Klee, Tagebuch III, 1911 (Nr. 903)
«1906 [...] Mit der Kunst im Reinen glaubte ich mich, als ich vor
der Natur zum ersten Mal einen abstracten Stil anwenden
konnte.»
Paul Klee, Autobiographischer Text für Wilhelm Hausenstein, 1919
«Kandinsky Wassily – Maler, Graphiker und Schriftsteller –, der
erste Maler, der die Malerei auf den Boden der rein-malerischen
Ausdrucksmittel stellte und das Gegenständliche im Bilde
strich.»
Wassily Kandinsky, «Selbstcharakteristik», in: Das Kunstblatt,
1919, S. 172
Kandinsky ist von Beginn an Maler. Der dreizehn Jahre jüngere Klee hingegen ist ein sehr begabter Zeichner und beurteilt seine malerischen Fähigkeiten sehr selbstkritisch. Mit seinen abstrakten grossformatigen Gemälden erfindet Kandinsky ab 1909 eine revolutionäre, neue Bildsprache. 1911 gründet er gemeinsam mit Franz Marc die Künstlervereinigung Der Blaue Reiter; im Herbst dieses Jahres lernt er Paul Klee kennen. Im Mai 1912 gibt Kandinsky den Almanach Der Blaue Reiter heraus, in dem Klee mit einer Zeichnung vertreten ist.
Musik
«auch der kunst ist zu exacter forschung raum genug gegeben
[...] was für die musik schon bis zum ablauf des achtzehnten
jahrhunderts getan ist, bleibt auf dem bildnerischen gebiet
wenigstens beginn.»
Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, 1912
«Die polyphone Malerei ist der Musik dadurch überlegen, als das
Zeitliche hier mehr ein Räumliches ist. Der Begriff der Gleichzeitigkeit
tritt hier noch reicher hervor.»
Paul Klee, Tagebuch III, 1917 (Nr. 1081)
«Die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist
das Klavier mit vielen Saiten. Der Künstler ist die Hand, die
durch diese oder jene Taste zweckmäßig die menschliche Seele
in Vibration bringt.»
Paul Klee, «exakte versuche im bereich der kunst», in: bauhaus.
zeitschrift für gestaltung, 2. Jg., N°. 2/3, 1928, p. 17
Die Verbindung zwischen Musik und Malerei gehört zu den
zentralen Themen im Schaffen beider Künstler. Kandinsky
sprach vom «inneren Klang» seiner Bilder und veröffentlichte
1912 im Almanach Der Blaue Reiter seine Bühnenkomposition
Der Gelbe Klang. 1928 entwarf er Bühnenbilder
zu Mussorgskys Klavier-Zyklus Bilder einer Ausstellung.
Klee, der selbst ausgezeichnet Geige spielte, entwickelte
seine Kunst durch bildnerische Analogien zu musikalischen
Strukturen. Als höchste Stufe dieses Gleichklangs
betrachtete er seine «polyphonen» (mehrstimmigen)
Bilder.
Weimar
«Das Verhältnis der Schüler zu Kandinsky war sehr respektvoll.
[...] Was er sagte, war immer einsichtig und faktisch belegt. Bei
Klee war dagegen immer alles in der Schwebe. Da konnte man
draus machen, was man wollte.»
Gunta Stölzl, in: Das Werk, 11, 1968
«Kandinskys Unterricht: Wissenschaftlich strenge Farb- und
Formuntersuchung. Beispiel: für die drei Formen (Dreieck,
Quadrat und Kreis) die entsprechende elementare Farbe zu suchen. Es wurde beschlossen, dass sie Gelb für Dreieck, Blau
für Kreis und Rot für Quadrat sei; sozusagen ein für allemal.»
Oskar Schlemmer an Otto Meyer-Amden, 21.10.1923
Paul Klee kommt im März 1921 ans Bauhaus in Weimar, Kandinsky im Juni 1922, nachdem er 1914 Deutschland hatte verlassen müssen und nach Russland zurückgekehrt war. Als Meister und Lehrerkollegen sind sie die tragenden Säulen des Bauhauses. Künstlerisch ist Klees Werk der Weimarer Zeit pluralistisch und reicht von erzählerischen Szenen bis zu beinahe abstrakten Arbeiten. Kandinsky dagegen strebt einen «Generalbass» der Malerei auf der Grundlage fester Farb- und Form-Verhältnisse an. Der Offenheit und dem individuellen Gestaltungsansatz Klees steht die strenge normative Konsequenz Kandinskys gegenüber.
Dessau
«Kandinsky und Klee: in jüngster Zeit werden die beiden
Künstler [...] immer häufiger zusammen genannt. [...] Denn:
sollte es bloßer Zufall sein, daß in dem stillen abseitigen Dessau
[...] zwei gleichfalls von der Erdenschwere losgelöste schöpferische
Geister – Ost und West verbindend – unter einem Dache
wohnen, oder ist es ein Weckruf, ein Symbol des Kommenden?!»
Fannina W. Halle, «Dessau: Burgkühnauer Allee 6–7 (Kandinsky
und Klee)», in: Das Kunstblatt, 1929, S. 210
«Der gestrige Tag stand im Zeichen von Kandinskys Umzug. [...]
Dieser Auszug ist derjenige, der für mich etwas besagt. [...] Es ist eine Freundschaft, die über eine Reihe von negativen Posten
hinwegkommt, weil die Plusseite standhält und vor allem, weil
ein Zusammenhang mit meiner produktiven Jugend vorliegt.»
Paul Klee an Lily Klee, 11.12.1932
«klee verbreitete am bauhaus eine gesunde, befruchtende
athmosphäre – als großer künstler und als klarer, reiner
mensch.»
Wassily Kandinsky, bauhaus. zeitschrift für gestaltung, Nr. 3, 1931
Am Dessauer Bauhaus kommt es in den Jahren 1925– 1931/33 zur gegenseitigen Annäherung von Klee und Kandinsky. Während bei Klee eine Formalisierung und Geometrisierung festzustellen ist, stellt sich bei Kandinsky eine Lockerung seines strengen Bildvokabulars ein. Und während bei Klee das erzählerische Element zurücktritt, gibt es in Kandinskys Bildern zunehmend figürliche Anspielungen und eine zusätzliche inhaltliche Dimension. Nicht selten kommt es zum regelrechten Bilddialog, in dem die beiden Künstler gleiche Motive oder Techniken aufgreifen und in ihre je eigene Sprache übersetzen.
Quadratbilder
Erste Ansätze zur Reduktion der Darstellung auf quadratische
Formen finden sich in Klees Werk ab 1914, als er
Motive in geometrische Farbfelder zergliedert. Während
der Bauhauszeit strukturiert er die Farbflächen nicht mehr
ausgehend vom Natureindruck, sondern entwickelt rein
abstrakte Kompositionen.
Kandinsky malt keine reinen Quadratbilder. Dennoch sind die Grundformen Quadrat, Dreieck und Kreis zentrale
Bildelemente in seinem Schaffen. Bei beiden Künstlern
sind die geometrisch-abstrakten Kompositionen als eine
Auseinandersetzung mit den grundlegenden bildnerischen
Mitteln Farbe und Form zu begreifen.
Bewegung
Die Darstellung von Bewegung ist für beide Künstler ein
zentrales Anliegen. Pfeile und Dreiecke zeigen die Richtung
an, Rotation und Diagonalen erzeugen den Eindruck
von Antrieb und Schwung.
Die Zeitlichkeit der Musik und Rhythmik spielen bei diesen
Gedanken rund um Bewegung ebenfalls bei beiden
Kunstschaffenden eine wichtige Rolle.
Spritztechnik
Die Verwendung der Spritztechnik bei Klee und Kandinsky
kann im Zusammenhang mit Diskussionen rund um
mechanische Darstellungsverfahren am Bauhaus gesehen
werden. Gegen Ende der Weimarer Bauhauszeit wird die
Spritztechnik für Klee zu einem wichtigen Gestaltungsmittel.
Mittels einer über ein Sieb gezogenen Bürste oder
eines Zerstäubers besprengt er den Bildträger mit
Aquarell- oder Gouachefarbe. Etwas später als Klee
wendet auch Kandinsky die Spritztechnik an. Klee verbindet
die Technik mit figurativen Darstellungen, während
Kandinsky zumeist abstrakt bleibt.
Konstruktiv – Figurativ
In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre kommen sich Klee
und Kandinsky künstlerisch erstaunlich nahe. Klee nimmt
unter dem Eindruck des Konstruktivismus zunehmend
geometrische Formen auf und reduziert erzählerische
Elemente in seinen Werken. Im Gegensatz dazu erhalten
figurative Elemente bei Kandinsky vermehrt an Wichtigkeit.
Abstraktion und Figuration schliessen einander nun
bei ihm nicht mehr aus, sondern gehen nahtlos ineinander
über.
Balance & Festigkeit
Für Klee ist der Zustand des Gleichgewichts zugleich
Kunst- und Lebensprinzip. Figuren wie der Seiltänzer und
andere Akrobaten sind Symbole für die Suche nach einer
Balance des Seins. Mit Gleichgewicht verbindet er nicht
starre Symmetrie und braven Einklang, sondern das
kreative Potenzial eines veränderbaren Zustandes.
Für Kandinsky dagegen stehen Spannungen im Mittelpunkt
des bildnerischen Denkens. Zahlreiche seiner Kompositionen
und auch viele seiner Bildtitel beziehen sich auf die
Gegenüberstellung von Unterschiedlichem.
Am Rande der Natur
Das Studium der Natur ist für Klee von Anbeginn an die
Grundlage seines Schaffens. Dabei verliert das Kopieren
der Natur für ihn rasch an Bedeutung und macht der Erforschung
natürlicher Grundstrukturen und Prozessen Platz.
Kandinsky hingegen hält Kunst und Natur für einander ausschliessende Gegensätze und vermeidet jegliche
Anklänge an natürliche Erscheinungen. In bestimmten
Werkphasen widmet er sich aber offener der Natur. In den
1930er-Jahren schliesslich werden die Formen niederer
Lebewesen zu einer seiner wichtigsten Inspirationsquellen.
1933
«Wir wollen nicht für immer Deutschland verlassen. Was ich gar
nicht fertig bringen könnte, da meine Wurzeln zu tief im
deutschen Boden sitzen.»
Wassily Kandinsky an Will Grohmann, 4.12.1933
«Nun, wir werden ja sehen, wie es weiter geht und was aus
unsrer Kunst wird! Jedenfalls sollen die Künstler apolitisch
bleiben und nur an ihre Arbeit denken und dieser Arbeit alle ihre
Kräfte widmen…»
Wassily Kandinsky an Werner Drewes, 10.4.1933
«Vorläufig drückt ein unangenehmes Gefühl auf den Magen, als
ob dem neuen Jahr des geeinigten nationalen Deutschlands eine
allzu zackelfugige Schaumweinorgie zum Anbruch verholfen
hätte.»
Paul Klee an Lily Klee, 1.2.1933
Im Januar 1933 ergreifen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland. Sowohl für Kandinsky wie für Klee hatte dieser tiefgreifende Einschnitt existenzielle Konsequenzen: Klee wird als Professor entlassen, Kandinsky sieht sich mit der bevorstehenden Schliessung des Bauhauses konfrontiert. Beide Künstler reagieren auf die nationalsozialistische Machtergreifung auch künstlerisch: Zahlreiche Werke sind von einer düsteren, zu Brauntönen tendierenden Farbigkeit geprägt. Während in Klees Bildsprache die Bedrohung konkret oder symbolisch fassbar wird, bleiben die Bilder Kandinskys ganz abstrakt.
Neubeginn
«Es wäre so schön, mal wieder zusammen eine Tasse Tee bei
Ihnen zu trinken, wie es so oft und so angenehm in Dessau der
Fall war. Wir denken oft an unsre ehemalige Nachbarschaft, an
gleichzeitiges Blumengiessen, an die Bocciakämpfe und – traurigen
Gedenkens – an die gemeinsamen Klagen über die Besitzungen.
Wie weit liegt das alles zurück!»
Wassily Kandinsky an Paul Klee, 16.12.1936
«Alors sempre avanti!»
Wassily Kandinsky an Paul Klee, 12.12.1939
«Denn mir bleibt nicht einmal genug Zeit zu meinem Hauptgeschäft.
Die Production nimmt ein gesteigertes Ausmass in sehr
gesteigertem Tempo an, und ich komme diesen Kindern nicht
mehr ganz nach. Sie entspringen.»
Paul Klee an Felix Klee, 29.12.1939
Nach ihrer endgültigen Entlassung – Klee an der Düsseldorfer Kunstakademie, Kandinsky am Bauhaus in Berlin – verliessen beide Künstler im Dezember 1933 Deutschland. Klee kehrt in seine Heimatstadt Bern zurück, Kandinsky emigrierte nach Paris. Kandinsky ist stärker als Klee auf einen Neubeginn ausgerichtet. Er vollzieht einen zügigen Stilwechsel. Die Geometrie der Bauhauszeit tritt zurück und macht biomorphen Figuren Platz. Ihre helle Farbigkeit vermittelt Optimismus und Ausrichtung in die Zukunft. Klee dagegen reagiert nach der Ankunft in seiner alt-neuen Heimat zunächst mit Irritation. Motive der Trauer und Entwurzelung stehen symbolisch dafür. Hinzu kommt, dass sein Leben von 1935 an bis zu seinem frühen Tod 1940 von einer Krankheit bestimmt ist, die seine Arbeitskraft stark beeinträchtigt. Erst ab 1937 findet auch er zu einem Neuanfang und erlebt, trotz oder gerade wegen der Krankheit, einen regelrechten Schaffensrausch.
PATRONAT
Alain Berset, Bundesrat | Hans-Jürg Käser, Regierungsratspräsident des Kantons Bern | Alexander Tschäppät, Stadtpräsident Bern