Auditorium Martha Müller
Hochschule der Künste Bern Helmut Lachenmann in Bern
DO | 04. Februar 2016 | 19:30
VERTIGO
Ensemble der Hochschule der Künste Bern
Helmut
Lachenmann, Sprecher
Lennart
Dohms, Dirigent
Yukiko
Sugawara, Klavier
Yoko
Kakuta, Sopran
Helmut
Lachenmann (*1935)
GOT
LOST ein verlorener Wäschekorb und mehr
Für
hohen Sopran und Klavier
Text: Friedrich Nietzsche und Fernando Pessoa
***
Helmut
Lachenmann (*1935)
ZWEI
GEFÜHLE
Musik
mit Leonardo
Text: Leonardo da Vinci
Eintritt
frei, Kollekte zugunsten des Stipendienfonds der Hochschule der Künste Bern.
Tür-/Caféöffnung und Abendkasse ab 18:30
Zu
den Werken:
GOT LOST ein verlorener Wäschekorb und mehr
Musik für hohen Sopran und Klavier; Text: Friedrich
Nietzsche und Fernando Pessoa
Helmut Lachenmann verbindet in
«GOT LOST», seiner
einzigen Komposition für die traditionelle Besetzung «Singstimme und Klavier», drei
ziemlich heterogene «gott-lose» Texte: vier gereimte Zeilen von Friedrich
Nietzsche, Fernando Pessoas Gedicht «Todas as cartas de amor são ridículas»
(Alle Liebesbriefe sind lächerlich) – und eine lapidare englischsprachige
Notiz. Sie beklagt den Verlust eines Wäschekorbs, was dem Werk eigentlich
seinen Namen gibt.
«Drei nur scheinbar inkompatible Texte, ihrer
pathetischen, poetischen, profanen Diktion entkleidet, werden aus derselben
Klangquelle, einer ,wie auch immer‘ singenden Sopranstimme, in ein intervallisch
ständig sich wandelndes Klang-, Hall- und Bewegungsfeld geschickt: rufend,
verspielt, ,trällernd‘, ariosoid lamentierend: sie unterbrechen und durchsetzen
einander und stecken so einen ihnen letztlich selbst fremden Raum ab, in
welchem wie in allen meinen Kompositionen Musik in ,ausdrucks‘-loser Heiterkeit
und so der diese drei Texte verbindenden transzendenten, gott-losen Botschaft
des ,ridicolas‘ bewusst über sich selbst nachdenkt.»
(Helmut Lachenmann, 2010)
ZWEI GEFÜHLE
Musik mit Leonardo; Text: Leonardo da Vinci
Das Werk ist 1991/92 entstanden. Ein großer Teil
davon wurde im leerstehenden Haus Luigi Nonos auf Sardinien geschrieben. Keine
Frage, dass die Erinnerung an ihn meine Vorstellungen damals mitbestimmt hat.
Meine Arbeit an diesem Stück ging von der Erfahrung aus, dass gerade das
„strukturell“ gerichtete Hören, das heißt das beobachtende Wahrnehmen des
unmittelbar Klingenden und der darin wirkenden Zusammenhänge, verbunden ist mit
inneren Bildern und Empfindungen, die von jenem Beobachtungsprozess keineswegs
ablenken, sondern untrennbar mit ihm verbunden bleiben und ihm sogar eine
besondere charakteristische Intensität verleihen.
Es ist die eigenartige Situation, wo beim Dechiffrieren einer uns betreffenden
Nachricht die unmittelbare Wahrnehmungsarbeit: das - möglicherweise mühsame -
Erkennen und Zusammentragen der Zeichen einerseits und die Kraft der sich
abzeichnenden Botschaft andererseits tatsächlich eng zusammengehören, gar
einander bedingen und einen geschlossenen Erlebniskomplex bilden.
Die beiden Sprecher des Leonardo-Textes in «... Zwei Gefühle ...» sind quasi
sich ergänzende Bewusstseins-Hälften eines imaginären Wanderers und still
staunenden Lesers. Sie selbst fungieren gleichsam bewusstlos wie die ineinander
arbeitenden Hände eines am Sehen Gehinderten, der jenen Text wie eine kostbare
Inschrift ertastet, indem er deren Sprachpartikel einzeln ergreift und schlecht
und recht vor seinem Gedächtnis zusammenfügt: konzentriert und nüchtern,
«versunken», aber zugleich «betroffen» im doppelten Sinn des Wortes, denn was
sich semantisch erschließt, beschwört eben jene Situation des unruhigen Suchens
«im Gefühl der Unwissenheit», in welcher der blind Tastende sich wiedererkennt.
(Helmut Lachenmann, 1994)